Almsee 14. April 2014

 

Eigentlich sollte der Titel ja „Almsee – Offensee“ heißen, aber anders als bei der Umrundung des Offensees musste ich den zweiten See nicht deshalb aus dem Titel streichen, weil die gemeinsame Umrundung scheiterte, sondern einfach weil der Offensee schon abgehakt war und nur noch Fleißaufgabe.

 

2014 ist für mich ja ein Jubiläumsjahr. Läuferisch wollte ich nicht nur die Marathondekade vollenden, was erstmals einen Frühjahrs- und einen Herbstmarathon bedeuten würde, sondern auch möglichst das Projekt der Seenumrundungen zu Ende bringen. Nachdem ich beim Frankfurt Marathon netter Weise einen Startplatz für Düsseldorf gewonnen hatte, war der Frühjahrsmarathon sehr schnell gefunden. Die Longjogs in der Vorbereitung wollte ich wieder für eine Seenumrundung nutzen und, wie schon beim Offensee beschrieben, schien mir diese Doppelumrundung dafür am geeignetsten. Und jedenfalls hatte ich noch eine offene Rechnung zu begleichen.

 

Da ich am vorletzten Sonntag vor dem Düsseldorf Marathon noch schnell als U-Boot in einer Staffel beim Vienna City Marathon mitlaufen musste, wurde der letzte Vorbereitungslongjog auf den Montag danach verschoben. Und da der Tag schon in die Osterferien fiel, konnte ich Paula zum Mitfahren gewinnen und damit auch bleibende Werte in der Eltern-Kind-Beziehung schaffen.

 

2003, kurz bevor Paula in die Schule kam, hatten wir schon Teile des Almsees erkundet. Wir waren damals auch am nahen Großen und Kleinen Ödsee. Paula war offensichtlich ob der kommenden Aufgabe schon so selbstbewusst, um alleine auf eine Seenumrundung aufzubrechen. Oder was auch immer, jedenfalls war sie plötzlich zwischen den Bäumen verschwunden. Jetzt ist die Gegend dort ja nicht unbedingt so, dass man sich darauf verlassen könnte, dass sie schon irgendwo wieder rauskommen würde. Genauso gut könnte sie über eine Felswand in den See stürzen oder sonst wo im Toten Gebirge nicht mehr weiter können. Panik machte sich breit, aber zum Glück war sie rasch wieder gefunden. Paula beschwert sich noch heute, dass wir ihr ständig ihre Unbekümmertheit vorwerfen.

 

Von damals hatte ich auch das Seehaus am Talschluss des Almtals als sehr idyllisch gelegen in Erinnerung und es schien mir nun als idealer Ausgangspunkt für den Lauf. Paula könnte mich am Almsee Ostufer begleiten, dann alleine über die Straße zurücklaufen, während ich die Forststraße am Weißeneggbach zum Gschirrsattel hochlaufen würde, drüben hinunter zum Offensee, rundherum, über den Gschirrsattel zurück und über den Wanderweg wieder zum Seehaus. Leider hatte das Seehaus am Montag Ruhetag. So mussten wir auf das Gasthaus Jagersimmerl kurz vor dem Almsee ausweichen, jedenfalls auch eine gute Wahl.

 

Das Wetter war zwar nicht besonders freundlich, aber gut genug zum Laufen. Für den Abend war eine Regenfront vorausgesagt, deshalb versuchten wir schon möglichst früh zu starten. Nach dem Einchecken im Hotel fuhren wir gleich zum geplanten Startort Seehaus. Damit sah ich auch das straßenseitige Seeufer, das ich später mit meinem Umweg über die Berge umlaufen sollte. Da ich in den nächsten drei bis vier Stunden vermutlich an keinem Versorgungspunkt vorbeikommen würde, nahm ich den Trinkgurt und ein Notfallsgel mit.

 

Almsee

Am Beginn liefen wir den Almsee Ostuferweg, was wahrscheinlich das seeläuferisch schönste Stück der Runde war. Paula war von der Laufstrecke auch gleich ganz angetan und ich war froh, somit eine Rechtfertigung parat zu haben, warum ich unbedingt immer an Seen laufen will. Wir ließen es gemütlich angehen und blieben immer wieder stehen um ein paar Fotos zu machen. Mir fiel auf, dass ich bisher all meine Seenrunden immer ohne Laufbegleitung gemacht hatte, mit Ausnahme der Wettbewerbe natürlich und ein paar hundert Meter mit Conny am Gosausee.

 

Wir kamen an einem Haus im See vorbei, vermutlich einem Bootshaus, das aber sinnvollerweise auch nur mit Boot erreichbar war und an einer kleinen Insel. Früher war diese eine schwimmende Insel. Das Ufer besteht hier stellenweise aus Torf, das manchmal von Wellen unterspült wird. Bei steigendem Wasserspiegel hatte sich einmal ein rund 300 m2 großes Landstück mit samt den darauf wachsenden Bäumen und Sträuchern vom Land losgerissen und segelte im Wind auf dem See herum. Es bestand sogar die Gefahr, dass die Insel zum Abfluss treiben und die Alm verstopfen könnte. Ein besonderer Almabtrieb sozusagen. Damals wurde sie mit langen Pfählen am Boden festgetackert. Momentan liegt sie wieder am Ostufer vor Anker. Aber ich schweife ab.

 

Nach drei Kilometern kamen wir an die Straße. Paula lief nun nicht über die Straße zum Ausgangspunkt, sondern in die andere Richtung ca. 1,5 km zum Hotel zurück. Ich verabschiedete mich mit der Anmerkung, dass sie, wenn ich nach vier Stunden nicht zurück sei, anfangen dürfte, sich Sorgen zu machen. Nun begab ich mich auf den knapp 10 km langen Aufstieg zum Gschirrsattel, bei dem ich ca. 450 hm zu überwinden hatte. Komischerweise war das Anfangsstück auf einigen Karten nicht eingezeichnet, trotzdem fand ich die erwartete Forststraße vor. Der Weg schlängelte sich mit einer gleichmäßigen Steigung dem Weisseneggbach entlang, war somit auch für mich als ungeübten Bergläufer gut zu laufen und erschien mir noch als akzeptables Marathontraining.

 

Die Höhenlage und der kommende Wetterumschwung machten sich schon bemerkbar und ich war froh, neben der Jacke auch eine Haube mitgenommen zu haben. Aber irgendwie ein komisches Gefühl, nachdem ich noch am Vortag kurz/kurz gelaufen war. Nach 5 km verließ ich das Tal und schlängelte mich über ein paar Serpentinen zum so genannten Zwieseleck. Hier war ich schon vor einem halben Jahr bei meinem Versuch vom Offensee zum Almsee zu gelangen. Von nun an sollte ich also die Strecke kennen.

 

Als Ausweg, falls mich die Kräfte verlassen oder es mich ordentlich einregnen würde, hatte ich immer noch die Möglichkeit vor Augen, umzudrehen bevor ich mich an den Abstieg zum Offensee machen würde. Wichtig war mir jedenfalls nur, den Almsee zu umrunden und in zwei Wochen noch den Marathon laufen zu können. Aber ein zweites Mal die Runde um beide Seen abzubrechen, wäre mir doch etwas peinlich geworden. Ich wollte das dann oben am Sattel entscheiden. Irgendwie fand ich es witzig, jetzt innerhalb kurzer Zeit hier fernab der Heimat bei ähnlich schlechten Wetter durch diese einsame Gegend zu laufen. Einsam war sie wirklich, sah ich doch am Weg zwischen den Seen außer dem Fahrer eines Forstautos niemanden.

 

Am Sattel überlegte ich nicht lang und lief weiter. Der Abstieg kam mir jetzt noch steiler vor als das letzte Mal. Manchmal konnte ich im Stehen kaum Halt finden. Manchmal blieb ich wo hängen oder fädelte bei einer Wurzel ein und war froh, dass ich mich nur ganz vorsichtig bewegte. Die Route wird ja auch als Mountainbiketour beschrieben, es war mir aber völlig unklar, wie man hier fahren sollte.

 

Bald kam der Offensee in Sicht und ich hatte den gröbsten Teil des Abstiegs bewältigt. Über einen Schotterkegel der sich in den Wald geschoben hatte, kam ich zum Rundwanderweg. Diesmal lief ich in die andere Richtung um den See. Am nördlichen Eck kürzte ich über einen Wiesenweg ab. Hier kam ich auch aus dem schützenden Wald heraus und der plötzlich aufkommende Wind blies mir einmal fast die Füße weg.

 

Den Westteil des Sees konnte ich wieder als schönen Seelauf genießen. Aber bald war es Schluss mit lustig und ich musste mich wieder an den Aufstieg machen. Die ersten 500 m nahm ich einen anderen Weg, aber auch hier war es so steil, dass ich sofort wieder zu gehen begann. War ich letzten Oktober hier noch am Beginn meiner Runde hinaufgeklettert, hatte ich nun schon an die 20 km und nicht wenige Höhenmeter in den Beinen. Ungleich schwieriger gestaltete sich nun alles. Da mir schon Böses schwante, nahm ich gleich mal das Gel.

 

Mein linker Oberschenkel vorne und mein rechter Unterschenkel hinten machten sich gleich bemerkbar. Die Asymmetrie blieb aber nur kurz, denn bald machten alle Muskeln zu. Teilweise versuchte ich, mit den Armen durch Aufstützen an den Oberschenkeln mitzudrücken, aber das half auch nichts. Ich fragte mich, ob mein Herumgewackel nur von den kraftlosen Bewegungen her stammte oder ob schon Schwindelgefühle einsetzten. Was wäre jetzt, wenn ich es nicht mehr nach oben schaffen würde? Ich müsste wieder zum Offensee hinunter rollen, mich von dort (ohne Geld) mit dem Taxi abholen lassen und außen rundherum über 60 km zurück zum Almsee führen lassen. Zu diesen Gedanken brauste über mir in den Baumgipfeln bedrohlich der Sturm.

 

Als ich endlich oben war, setzte der Regen ein. Ich begann wieder ungelenkig zu laufen. Ich überlegte mir, ob es nicht einfacher wäre, wieder die Forststraße hinunterzulaufen, aber dann hätte ich unten noch 3 km auf der Straße zum Auto zurück müssen. Also bog ich beim Zwieseleck ab, um wie geplant die Almseerunde zu vollenden, auch wenn der Wanderweg ein paar zusätzliche Höhenmeter bringen würde. Zuerst musste ich einen Singletrail in das Nesseltal hinunter, das war im Gatsch und auf den nassen Wurzeln nun besonders lustig. Unten gab es ein kleines Brückerl über den Bach und auf der anderen Seite ging es gleich wieder hinauf. Ich versuchte erst gar nicht zu laufen. Oben kam ich wieder auf eine Forststraße und versuchte wieder Laufschritte. Ich bemühte mich, den Blick nicht zu sehr auf meine Fußspitzen zu heften um nur ja nicht eine Markierung zu übersehen.

 

Almsee

Nun hoffte ich, bald wieder den Almsee zu sehen. Als ich endlich sein grünes Wasser zwischen den Bäumen durchschimmern sah, wusste ich, dass ich es geschafft hatte und fing an vor mich hinzuträllern. Nun gab es nur noch einen kurzen steilen Abstieg zu Straße hinunter und war ich nach 3 h 37 reiner Laufzeit wieder beim Parkplatz zurück. Die Uhr zeigte 960 hm, soviel hatte ich noch nie bei einem Lauf. Ich nahm sofort einen Powerdrink und setzte mich ins Auto. An der Windschutzscheibe merkte ich, dass es immer noch ganz schön regnete.

 

Im Gasthaus zurück, als ich wieder geduscht und einigermaßen bei Kräften war, merkte Paula an, dass sie noch was unternehmen möchte, weil sie ja erst eine halbe Stunde laufen war. Ich hätte ja schon genug Bewegung an der frischen Luft gehabt, aber das war ich ihr nun schuldig. Mangels Alternativen gingen wir noch im Regen am Großen Ödsee spazieren und sie hörte wieder einmal die Geschichte, wie sie uns damals ausgebüchst war.

 

Uns fröstelte schon ganz schön und ich war mir sicher, dass es über Nacht schneien würde. So war es dann auch und wir fuhren am nächsten Morgen nochmals an den Almsee, um ein paar Fotos vom See im Schnee zu machen.

Almsee