Struwwelpeterlauf

Frankfurt Marathon 27. Oktober 2013

 

Zumindest einen Marathon im Jahr wollte ich laufen. Im Frühjahr hatte ich aufgrund einer Verkühlung länger nicht trainiert. Der Sommer war viel zu schön für lange Läufe und so stand ich Mitte September ohne Plan da. Wenn ich jetzt noch ein schön periodisiertes Marathontraining durchziehen würde, müsste ich mir schon fast einen Wettkampf im Winter suchen. So durchforstete ich alle möglichen Laufkalender, als plötzlich im Laufforum von Bernhard ein Startplatz in Frankfurt angeboten wurde. Der Termin Ende Oktober ließe noch vier Longjogs zu, das würde ja zur Not gerade noch gehen. Ich betrachtete dies also als Wink mit dem Zaunpfahl und entschloss mich, dieses Angebot anzunehmen.

 

Erstaunlicher Weise gingen die Longjogs alle sehr locker von der Sohle und auch die Geschwindigkeit war nicht so weit von dem entfernt, was ich einmal laufen konnte. Möglicherweise lag das auch daran, dass nach der letzten Blutuntersuchung mein Arzt meinte, ich solle einmal ein bisschen aufpassen, was ich so esse. Da ich der Meinung war, weder übergewichtig zu sein noch zu wenig Sport zu betreiben, war ich nun persönlich beleidigt und beschloss meine Ernährung komplett umzustellen.

Ich esse meine Suppe nicht!

Nein, meine Suppe ess’ ich nicht!

 

Jedenfalls hatte ich am Ende des Sommers meine Blutfettwerte auf ein Viertel reduziert und das ideale Wettkampfgewicht erreicht. Conny begann schon mit mir zu schimpfen, sodass ich fast glaubte, dass „slim“ nicht nur meine neue Konfektionsgröße ist, sondern auch mein Verhalten meint.

 

Wir hatten trotz kurzfristiger Anmeldung für das Wochenende noch einen sehr günstigen Flug samt Hotel gefunden. Offensichtlich kann so ein Marathon, auch wenn er der zweitgrößte Deutschlands ist, bei weitem nicht die Kapazitäten der Wirtschafts- und Messenmetropole füllen. Wir reisten schon am Freitag an, um auch genügend Zeit für Sightseeing zu haben. Die „Kinder“ kamen wegen Schule bzw. Zivildienst nicht mit.

Paulinchen war allein zu Haus,

die Eltern waren beide aus.

 

Der erste Weg führte uns zur Marathonmesse. Es ging alles sehr schnell, was auch sicher daran lag, dass die Startnummern vor Ort ausgedruckt und daher nicht mühsam herausgesucht werden mussten. Die Dame, die mir mein Finishershirt überreichte, pries es mir catwalkartig an, diese gute Laune wird ihr wahrscheinlich bis zum Ende der Abholfrist noch vergangen sein. Auf einer riesigen Wand waren die Namen tausender Starter abgedruckt. Davor bildeten sich Trauben von Leuten, die ihren Namen suchten, gelegentlich blitze ein Fotoapparat, wenn jemand fündig geworden war. Nach kurzer Zeit gab ich auf, ich wusste ja eh wie ich hieß.

 

Sonst gab es noch zwei Gewinnspiele für eine Teilnahme am Salzburg bzw. Düsseldorf Marathon und jede Menge Laufutensilien. Nachdem sich alles sehr rasch zu wiederholen schien, flüchteten wir bald und machten uns zur Besichtigung der Innenstadt auf (Dom, Römer). Den Abend verbrachten wir im Gasthaus zum Eisernen Steg genau bei km14 der Marathonstrecke. Hier gab es Bier der Brauerei „Schlappeseppel“, hoffentlich kein schlechtes Omen für den Sonntag.

 

Am Samstag war zunächst Schaufensterbummel angesagt. Wenn Conny schon so nett war, mich zu begleiten, konnte ich da auch mitmachen. Wobei mitmachen ein bisschen weit hergeholt ist. Um meine Beine zu schonen, steuerte ich in jedem Geschäft sofort die nächste Sitzgelegenheit an und ergab mich dem Studium der Laufstrecke. Immerhin konnte ich so die doch etwas verwirrende Streckenführung in der Innenstadt auflösen.

Struwwelpeter-Brunnen

 

Die einzigen sonnigen Stunden verbrachten wir auf der Terasse der Skylounge eines Kaufhauses an der Hauptwache mit herrlichem Blick über die Stadt. An der Hauptwache fanden wir dann auch den Struwwelpeterbrunnen. Der Struwwelpeter, der aus heutiger Sicht nicht mehr ganz politisch korrekte Kinderbuchklassiker, ist ja vor rd. 170 Jahren in Frankfurt entstanden. Wie unschwer zu erkennen ist, sind die hier eingestreuten Zitate den darin enthalten Geschichten entnommen.

 

Danach ging es zur Pastaparty. In der Festhalle herrschte ausgelassene Stimmung. Nach Aufnahme der Kohlehydrate versuchten wir uns im Zielgelände zu orientieren. Leider war uns nicht klar, zu welchen Bereichen die Begleiter nach dem Rennen zutritt hätten und wo ich daher mit Conny einen Treffpunkt vereinbaren konnte. In Wien ist dies mit den Buchstabentafeln besser geregelt. Die Ordnungskräfte, die wir fragten, konnten uns auch nicht weiterhelfen, sie waren alle nicht zuständig.

 

Nach einer Entspannungspause im Hotel machten wir uns zur zweiten Pastaparty auf. In einer Pizzeria hatten wir im Vorfeld einen Forumstreffpunkt organisiert. Es wurde ein lauschiger Abend. Zitat des Tages kam jedenfalls von Verena, die die Schwierigkeiten des Marathonlaufens treffend charakterisierte: „Ein Marathon ist halt schon weit.“ Wie wahr!

 

Dank des späten Starts um 10:30 Uhr und der an diesem Wochenende durchgeführten Sommerzeitumstellung gab es am Marathonmorgen wenig Stress. Wir frühstückten in einer nahen Bäckerei. Langsam kam die übliche Nervosität vor einem Marathon wieder auf.

Ob der Philipp heute still

wohl bei Tische sitzen will?

Frankfurt Marathon 2013

 

Das Wetter wurde als eindeutig wechselhaft vorausgesagt. Jedenfalls sollte es nicht zu kalt werden und ich entschied mich für mein geliebtes dünnes grünes Vienna Night Run Shirt.

Es zog der wilde Jägersmann

sein grasgrün neues Röcklein an.

 

Geplant hatte ich, dass ich mich im ersten Block der zweiten Welle weit vorne aufstellen könnte, um dann gleich unbehindert fortzulaufen. Da ich mir aber das lange Herumstehen ersparen wollte, kam ich erst relativ knapp zum Start. Der Startblock war schon gerammelt voll, ich konnte mich erst hineinquetschen, als sich der Tross schon in Bewegung setzte. Dadurch war es nur möglich mein Wohlfühltempo zu laufen, wenn ich ständig über Gehsteige und Grünstreifen auswich. Ich war permanent am Überholen.

 

Trotzdem die ersten Kilometer durch die Innenstadt führten, kamen wir doch bei vielen Grünflächen vorbei, was von allen genutzt wurde, die vor dem Start keinen Platz in einem Dixi-Klo fanden. Bei km 7 gab es den ersten Winkpunkt mit Conny. Zu km 10 ging es leicht bergauf. Hier setzt Regen ein, der aber nicht weiter störte. Er sollte uns rd. eine Stunde begleiten.

Seht! Nun steht er triefend naß!

Ei! Das ist ein schlechter Spaß!

Wasser läuft dem armen Wicht

aus den Haaren ins Gesicht.

 

Nun ging es nach Dribbdebach, also das linksseitige Mainufer. Bei km 15 stand wieder Conny. Vorsorglich wollte sie mir eine Regenjacke anbieten, die ich dankend ablehnte. Dann ging es auf einer langen Geraden aus der Stadt hinaus. Ich war ja bisher nach Gefühl gelaufen. Nun begann ich nachzurechnen und merkte, dass ich mit meiner dzt. Pace um die 5:10 zwar gut im Rennen lag, aber doch eindeutig über personal best. Ich brauchte mir also keinen besonderen Stress mehr machen. Immer wieder standen am Straßenrand Bands, zumeist wegen des Regens unter Unterführungen. Das gab auch gleich eine gute Akustik.

 

Bei km 20 gab es zum ersten Mal Gels, ein besonderes Service des Frankfurt Marathons. Es war aber trotzdem sehr stressig, am Beginn der Labestation sich ein Gel in den Mund zu drücken und dann am Ende gerade noch Wasser zum Nachspülen zu bekommen. Hinterher musste ich mir das Gel von den Fingern lecken.

Und vor allem, Konrad, hör’!

Lutsche nicht am Daumen mehr.

 

Weiter ging es durch die Vororte Frankfurts. Bei km 24 liefen wir eine Rampe auf eine Autobahnbrücke, die uns wieder nach Hibbdebach brachte. Auf der Brücke spielte eine Rockband, die irrsinnig gute Stimmung verbreitete und die leichte Steigung der Rampe kaum spürbar machte. Bei der Labestation bei km 25 nahm ich wieder ein Gel. Diesmal ließ ich mir aber Zeit mit dem Lutschen, sollte doch bei km 26 wieder Conny stehen, die mich mit Wasser versorgen konnte. Wie ich nachher erfuhr ging sich das nur ganz knapp aus, da die Straßenbahn doch länger als geplant nach Höchst brauchte.

 

Höchst war 1981 der Startpunkt des ersten Frankfurt Marathons, der auch zugleich der erste Citymarathon Deutschlands war. Hier war nun der Umkehrpunkt der Strecke. Inzwischen wurde es wieder eng. Offensichtlich hatte ich den sub 3:45 Pacer und die ihm anhaftende Läufertraube eingeholt. Bei km 30 traf ich wieder Conny. Diesmal ließ ich mir Gel und Wasser geben und ersparte mir so komplett das Anlaufen der Labestation. War es bis km 25 total locker gegangen, war nun doch schon Anstrengung spürbar. Die Kilometerzeiten begannen leicht zu steigen. Dafür wurde nun der Wind immer stärker. Zumeist kam er aber von hinten, sodass dies nicht als Ausrede für das Langsamerwerden zählen konnte.

 

Wir liefen auf einer breiten Straße, die halbseitig für die Läufer gesperrt war. Ohne spezielle Abgrenzung kam uns auch die Straßenbahn entgegen. Da ich noch immer überholte musste ich gelegentlich auch auf die Straßenbahnschienen ausweichen. Da die Straßenbahn aber nur Schrittgeschwindigkeit fuhr, bestand keine besondere Gefahr. Auf der nicht gesperrten Seite der Straße überholten uns Autos, die uns durch rhythmisches Hupen anfeuerten. Der Wind wurde immer stärker. Bei km 35 hatte er kurz vor mir sogar die Zeitnehmungsmatte weggeblasen. Vor der Versorgungsstation nahm ich das Reservegel, das ich ebenfalls bei km 30 bekommen hatte und holte mir nur Wasser.

 

Nun ging es wieder in die Innenstadt. Der Wind war inzwischen zum Sturm geworden. Durch die Hochhäuser wurde er noch weiter kanalisiert. Ohne jede Vorwarnung trafen die Läufer nun Böen, die einem buchstäblich kurzfristig zum Stehen brachten. Hinter mir wehte es einmal eine Plakatwand auf die Strecke. Es war richtig unheimlich.

Wenn der Sturm das Feld durchsaust,

bleiben Mädchen oder Buben

hübsch daheim in ihren Stuben.

 

Ich begann nachzurechnen und legte als Ziel für mich fest, unter 3:45 zu bleiben. Dafür musste ich nun gegen die Schmerzen in den Beinen anlaufen, aber wozu läuft man sonst Marathon. Anstrengung ist ein Wert an sich, hatte ich einmal gehört.

 

Da es mir bis dahin gut gegangen war, erklärte ich mich nun doch dazu bereit, beim zweiten Durchlauf bei der Hauptwache durch das Spendentor zugunsten der Caritas zu laufen. Einmal rammte ich einen Läufer, der vor mir plötzlich stehen geblieben war. Die Zielgerade zog sich ewig. Beim Einlauf in die Messehalle kollidierte ich wieder mit anderen Läufern, die vor mir ein kleines Trätschchen anfingen. Der Zieleinlauf war schon genial. Im Vorfeld des Marathons konnte man beim Hessischen Rundfunk an einem Voting der besten Marathonsongs teilnehmen. Als ich die Liste sah, stach mir gleich „Beat It“ von Michael Jackson (‘tschuldigung, ist halt meine Generation) in die Augen. Genau das wurde jetzt gespielt und das gab mir noch den letzten Kick. Mit 3:43 lief ich ein, ich war sehr zufrieden!

Der Mohr voraus im Sonnenschein,

die Tintenbuben hintendrein.

 

Beim Ausgang aus der Halle gab es dann den letzten emotionalen Moment, als ich mir ehrfürchtig die Medaille um den Hals hängen ließ. In der sehr ordentlichen Ziellabe krallte ich mir einiges zusammen und drängte zum Ausgang, um Conny wieder zu treffen. Zufällig lief mir dabei noch Wolfgang über den Weg, der mich über die weniger erfreulichen Ergebnisse der anderen Forianer unterrichtete.

 

Mit Conny fuhr ich die eine U-Bahn-Station bis zum Hotel und nahm einmal ein heißes Bad. Am Abend kam dann noch die letzte Sehenswürdigkeit Frankfurts, Alt Sachsenhausen, dran. Im Gegensatz zum Römer sind die schnuckeligen Häuser hier wirklich alt und echt. Es gibt hier noch einige traditionelle Äppelwoistuben, die ich aufgrund ihrer deftigen Küche vor dem Marathon meiden musste. Jetzt konnte ich es umso mehr genießen.

Aß auch die gute Leberwurst

und trank den Wein für seinen Durst.

Frankfurt

 

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