Brauhaus auf der Wieden

Dezember 2017


Die Brauerei Neuerlaa wird hinsichtlich ihrer Kurzlebigkeit nur noch vom Brauhaus auf der Wieden übertroffen. Im Sinne einer vollständigen Beschreibung aller historischen Brauereien sei aber auch dieser Braustätte ein Bier Jour fixe gewidmet. Er soll aber zumindest in die Zeit der langen kalten Winternächte gelegt werden, da wir uns bei der Besichtigung nicht lange im Freien aufhalten müssen und gleich in Räumlichkeiten der heutigen Braukunst zu einer Nachbesprechung zurückziehen können.

Viel wissen wir über die Brauerei nicht. Die Anfänge dürften um das Jahr 1833 liegen. Die Brauerei befand sich im sogenannten Blechernen Turmfeld, einer Wiener Vorstadt, die später im 4. Wiener Gemeindebezirk Wieden aufging. Die Brauerei hatte die Adresse Wieden 393, heute Blechturmgasse 30/Rainergasse 30.

 

Erster Besitzer dürft Anton Kalsner (oder Kalßner) gewesen sein, der zuvor schon Branntweinerzeuger war. Aus dieser Zeit wird auch von einem Braugasthof mit Biergarten, in dem auch Konzerte stattfanden, berichtet.

Wiener Zeitung 10. Juli 1834 Seite 4
Wiener Zeitung 10. Juli 1834 Seite 4, Quelle: ANNO/ÖNB


Nächster Eigentümer war ab ca. 1836 ein gewisser Franz Nagl. Im Buch „Der Fremdenführer in Wien und in dessen nächste Umgebungen“ aus 1841 wird die Brauerei als eines von acht Brauhäusern innerhalb des Linienwalls gelistet.

1842 wir August von Perko Besitzer der Brauerei. Er hat zumindest auch einen Eintrag in die Stadtgeschichte geschafft. Von Perko war erfolgreicher Kaufmann, stiftete Stipendien an der Wiener Universität und erfüllte auch sonst caritative Aufgaben. Nach seiner Tätigkeit als Brauhausinhaber wurde er auch noch als Mitdirektor der Mattersburger Bahn erwähnt.

Den letzten Eintrag über ein Brauhaus an dieser Stelle habe ich schließlich aus dem Jahr 1847 gefunden. Viel mehr gibt es über diese Brauerei auch schon nicht mehr zu sagen.

 

Wir treffen uns für unseren Rundgang an der U1-Station Hauptbahnhof/Südtiroler Platz und wählen den stadteinwärts gelegenen Ausgang. Über die Kolschitzkygasse kommen wir in den Alois-Drasche-Park, den wir schräg durchqueren. Er ist der letzte Überrest des ehemaligen Blechernen Turmfeldes.

Durch die Seisgasse gehen wir zur Blechturmgasse, in die wir rechts einbiegen. Beim Haus Blechturmgasse 30/Rainergasse 30 haben wir den ehemaligen Brauereistandort erreicht. Heute befindet sich hier ein 1957/58 errichtetes Wohnhaus.

Am gegenüberliegenden Haus Blechturmgasse 28 finden wir einen Eckturm mit blecherner Haube. Da das Haus aber aus 1912 stammt, ist wahrscheinlich, dass der Turm aufgrund des Straßennamens entstand und nicht umgekehrt die Gasse nach diesem Turm benannt wurde. Wir gehen nun die Rainergasse stadteinwärts und sehen auf Hausnummer 22 die Überreste des Palais Thurn-Valsassina. Der Bau stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert und ist somit Zeitzeuge des Brauhauses auf der Wieden. Ein Mitglied der Familie Thurn-Valsassina haben wir auch schon als Besitzer des Kaiserebersdorfer Brauhauses kennen gelernt.

Wir gehen die Rainergasse weiter und kommen bei Hausnummer 11 zum Palais Schönburg. Dieses wurde bereits 1705 errichtet und stand daher natürlich ebenfalls schon zu Brauereizeiten. Das Palais ist nicht nur deshalb (zeit)geschichtlich interessant, weil hier Bundespräsident Alexander van der Bellen seine staatstragende Antrittsrede nach der (ersten) gewonnen Wahl hielt, sondern weil August von Perko das Palais drei Jahre besaß bevor er Brauereibesitzer wurde und wohl auch die paar Häuser weiter in die Brauerei übersiedelte. Ja, wenn man es sich verbessern kann!

Einen naheliegenden Abschluss für die diesmalige Brauereibesichtigung bildet wohl ein Besuch des Wieden Bräus in der Waaggasse 5, das nun leicht zu Fuß zu erreichen ist. Die selbstgewählte Bezeichnung „Erste Wiedner Gasthausbrauerei“ stimmt, wie wir jetzt wissen, so eigentlich nicht ganz, was der Qualität der Biere der 1991 von Wolfgang Stark eröffneten Brauerei aber keinen Abbruch tut.

Nachschau Februar 2024

 

Immer, wenn ich irgendwo in Österreich unterwegs bin, schaue ich, ob es da zufällig einmal eine Brauerei gegeben hat. Um die Informationen auf einen Blick parat zu haben, lud ich mir unlängst die Standorte von der in der Einleitung zitierten, allumfassenden Österreichischen historischen Brauereitopographie von Christian Michael Springer auf Google My Maps. Dabei bemerkte ich, dass sich bei den historischen Wiener Brauereien, die ich eigentlich glaubte, vollständig abgearbeitet zu haben, zwei neue Einträge fanden. Einer davon war die „Alte Wiedner Brauerei“. Grund genug zu schauen, ob es hier vielleicht noch was zu entdecken gibt.

 

Die Brauerei befand sich an der heutigen Adresse Favoritenstraße 18 und war nur von 1823 bis 1828 in Betrieb. Als Besitzer scheint jener Anton Kalsner auf, der später erster Besitzer des oben beschriebenen Brauhauses auf der Wieden war. Ich gehe also davon aus, dass die Alte Wiedner Brauerei nur dessen Vorgängerbetrieb war und Kalsner im Jahr 1833 einfach den einen Kilometer weiter gezogen ist. Deshalb wird für diesen kurzfristigen Brauereistandort auch kein eigenes Kapitel aufgeschlagen.


Anton Kalsner hatte ein Patent über die Herstellung eines sogenannten Gesundheitsbieres erworben. Gebraut wurden zwei Sorten, wovon die eine mehr in den bitteren, die andere mehr in den süßen Geschmack fällt. Ob in der Favoritenstraße auch ausgeschenkt wurde, kann ich nicht sagen, jedenfalls gab es für sein Bier bereits damals eine Hauszustellung.

Wiener Zeitung 17. August 1827 Seite 15, Quelle: ANNO/ÖNB
Wiener Zeitung 17. August 1827 Seite 15, Quelle: ANNO/ÖNB

 

Im November 1828 ging Anton Kalsner in Konkurs und die Brauerei-einrichtung wurde versteigert. Aus der Brauerei wurde eine Senffabrik. Ein Neuanfang als Brauer gelang Kalsner dann, wie oben beschrieben, 1833 in der Blechturmgasse. Und auch hier gab es anfangs eine Hauszustellung.

Wir treffen uns für unseren Rundgang bei der U-Bahn-Station Taubstummengasse und stehen damit direkt vor der Brauerei. In der Favoritenstraße 18 befindet sich heute das Amtshaus für den 4. Bezirk, das, wie unschwer zu erkennen ist, jüngeren Datums, nämlich aus 1966 ist. Von der Brauerei gibt es natürlich nichts mehr zu sehen.

Wir gehen zunächst zum linken Teil des Häuserblockes weiter, biegen in die Tilgnerstraße ein und gelangen zum Brahmsplatz. Obwohl während meines Studiums die Taubstummengasse meine meistgenützte U Bahnstation war, habe ich diesen Platz noch nie besucht. Es handelt sich dabei um die Überreste der zur Zeiten der Brauerei weitläufigen Innenhofgartenanlage. Das Haus Brahmsplatz 7 bildet quasi die Rückseite der Brauerei.

 

Interessant ist das Haus Brahmsplatz 4. Hier wohnte von 1905 bis 1921 Carl Reininghaus. Sein Vater Julius Reininghaus, war einer der Gründer der Brauerei Reininghaus, seine Mutter Emilie Mautner von Markhof, war Tochter Adolfs Ignaz Mautner von Markhof, dem Begründer der österreichischen Brauerdynastie und Modernisierer der Brauerei Sankt Marx. Trotz Wohnort hinter dem ehemaligen Brauereistandort hatte er aber selber nichts mit Bierbrauen zu tun. Seine Erbschaft ermöglichte es ihm auch so, sich die Wohnung von Adolf Loos einrichten zu lassen und eine der wichtigsten Kunstsammlungen Österreichs aufzubauen.

Wir gehen wieder zurück, an der ehemaligen Brauerei vorbei, biegen links in die Floragasse und schauen uns den rechten Teil des Häuserblocks an. Beim Haus Nr. 3 lässt sich nur mehr erahnen, dass der Grundstock aus 1798 stammt, somit älter als die Brauerei ist. Das Haus Nr. 5 wurde schon vorbildlicher in Stand gehalten, es stammt aus 1828, wurde also zum Ende der Brauerei errichtet. Am Standort Floragasse 7 stand einst das für die Gasse namensgebende, 1825 eröffnete Florabad, man konnte sich also nach dem Baden noch ein Bier besorgen. Auch die schon etwas entfernter liegenden Häuser Floragasse 9A, Identadresse Wiedner Hauptstraße 37 (errichtet 1775) und das gegenüberliegende Haus Floragasse 10, Identadresse Wiedner Hauptstraße 35 (errichtet 1819) sind noch Zeitzeugen der Brauerei.

Wie schon bei unserer ersten Spurensuche zum Brauhaus auf der Wieden beschließen wir den Abend im Wieden Bräu. Seit unserem letzten Besuch gab es allerdings ein kurzes Zwischenspiel mit dem Besitzer Igor Nesterenko, der das Gasthaus 2021 übernahm und die Brauanlage kurzfristig stilllegte. Seit Herbst 2023 betreibt nun der Gastronom Gerald Schedl das Lokal und es wird wieder bekömmliches Bier gebraut.

Quellen

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Blechernes_Turmfeld

https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/zoom/1637354?query=turmfeld

https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/themen-entdecken/literatur-sprach-und-kulturwissenschaften/kulturwissenschaft/38746/wiener-bier-geschichte

https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/zoom/410361

https://books.google.at/books?id=u45fAAAAcAAJ&pg=PA408&q=kalsner

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18340710&seite=4&query=brauhaus

https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/351434 (Nagl)

https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/zoom/381446

https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/410306 (Perko)

https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/pageview/322840

https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/content/pageview/424157

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/August_von_Perko

https://de.wikisource.org/wiki/BLK%C3%96:Perko,_August_von

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=mil&datum=18671023&seite=5&query=Perko

http://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18491101&seite=12&query=Perko

https://de.wikipedia.org/wiki/Bahnstrecke_Wiener_Neustadt%E2%80%93Sopron

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Alois-Drasche-Park

https://de.wikipedia.org/wiki/Alois-Drasche-Park

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Thurn-Valsassina-Palais

http://www.burgen-austria.com/palais.php?id=772

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Sch%C3%B6nburgpalais

https://diepresse.com/home/politik/bpwahl/4994668/Die-eine-Haelfte-ist-so-wichtig-wie-die-andere

http://www.brauereifuehrer.com/wiki/Wieden_Br%C3%A4u

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18270817&seite=15&query=%22brauhaus-anzeige%22

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=gra&datum=18271201&seite=2&query=%22anton+kalsner%22

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18281108&seite=5&query=%22anton+kalsner%22

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18290113&seite=13&query=%22senf+favoritenstra%C3%9Fe%22~30

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18330806&seite=11&query=%22blechernen+brauhaus%22~10

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Brahmsplatz

https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_Reininghaus

https://www.wienschauen.at/floragasse-3%E2%80%8B-fassade-bei-umbau-zerstoert/

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Floragasse

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wrz&datum=18250505&seite=10&query=%22gemeindegasse+bade%22~10

https://www.falter.at/lokal/769/wieden-brau/lokalkritik