Plansee - Heiterwanger See 7. Juli 2013

 

Mit zwei Seen konnte ich mich natürlich noch nicht zufrieden geben. Wenn ich schon so weit gefahren war, wollte ich so viele Seen wie möglich mitnehmen. Plansee und Heiterwanger See lagen praktischerweise gleich um die Ecke. Und beide liegen so nahe beisammen, dass sich eine gemeinsame Umrundung förmlich aufdrängte.

 

Der Plansee ist einer der natürlichen Seen, der durch Stauung eigentlich zu einem künstlichen See geworden ist. Die wichtigste Frage, zumindest für mich, war daher, was alles umrundet werden musste. In der Literatur wird der See mit einer Fläche von 2,87 km2 angegeben. Das wäre die Fläche des Plansee und des sogenannten „Kleinen Plansees“ zusammen. Meine offizielle Seenliste führt beide Seen aber getrennt, der Kleine Plansee ist darüber hinaus als künstlicher See angegeben, ist also durch die Aufstauung erst als Anhängsel des Plansees entstanden. Ich entschied somit für mich, auch angesichts der 22 km vom Vortag, dass eine Umrundung des ursprünglichen Plansees reichen muss, was nur dadurch möglich war, weil über die Enge zwischen beiden Seen eine Brücke führt.

 

Als Einstieg in die Runde boten sich grundsätzlich zwei Möglichkeiten an: Am Heiterwanger See beim „Fischer am See“ oder am Plansee irgendwo an der Planseestraße. Ich entschied mich zum Gasthaus Seespitz am Abfluss des Plansees zu fahren, dann könnte ich nach der Runde ja noch den Kleinen Plansee anhängen, falls mir noch fad sein sollte. Da ich die enge Planseestraße aus Sicherheitsgründen auf der Seeseite und gegen die Fahrtrichtung der Autos laufen wollte, war damit auch die Drehrichtung festgelegt: Plansee linksrum, Heiterwanger See rechtsrum.

 

Felix blieb im Hotel und beschäftigte sich mit Dantes Inferno, bzw. dem, was Dan Brown daraus gemacht hatte, und ich düste ab. Schon auf der Fahrt bemerkte ich, dass an einem wunderschönen Julisonntag in Tirol sehr viel los ist. Auffällig war auch, dass mehr Motorradfahrer als PKW unterwegs waren und das ist jetzt keine poetische Übertreibung, sondern ließe sich auch statistisch nachweisen. Am Seespitz angekommen fand ich gerade noch einen Parkplatz.

 

Diesmal musste ich Trinkgurt und Fotoapparat mitnehmen. Ich steckte auch ein Gel gegen den Hungerast ein und setzte mir ein Kapperl gegen die zu Mittag kräftig scheinende Sonne auf. Zuerst ging es über das schon erwähnte Brückerl und auf einem relativ engen Singletrail das erste Stück am Plansee entlang. Die in großer Zahl unterwegs seienden Spaziergeher musste ich immer wieder höflich, aber doch verscheuchen. Durch das untergrundbedingte übermäßige Gehupfe pendelten die Trinkflascherl im Gurt unangenehm hin und her. Offensichtlich lässt nicht nur bei mir die Spannkraft des Bindegewebes nach, sondern auch die des Gummigurts. Erst als ich zwei der vier Flascherl als Hanteln in die Hand nahm, war das Laufen wieder angenehm.

 

Bald kam ich zur Verbindung zwischen Plan- und Heiterwanger See. Früher war der Heiterwanger See um 68 cm höher als der Plansee. Beide Seen sind nun aber nach der Aufstauung durch einen breiten Kanal verbunden und bilden eine gemeinsame Wasserfläche. Dadurch ist es auch möglich, dass nun über beide Seen die höchstgelegen Schifffahrtslinie Österreichs verkehrt. 

 

Auf der Südseite des Heiterwanger Sees ging es auf einer breiten Forststraße weiter. Durch den dadurch möglichen ruhigeren Laufstil konnte ich auch die Trinkflascherl wieder einstecken und ab nun freihändig laufen.

 

Heiterwanger See

Der Heiterwanger See machte generell einen etwas lieblicheren Eindruck. An mehreren Stellen gab es Uferwiesen, die auch von Badenden genutzt wurden. Während der Plansee in einem relativ eng eingeschnittenen Tal lag, öffnete sich nun das Panorama in Richtung Heiterwang. Wären die Kraftwerkspläne aus dem Jahr 1939 verwirklicht worden, eine Zeit, in der auf Wünsche der Bevölkerung bekanntlich eher wenig Rücksicht genommen wurde, wären die beiden Seen um mehr als 50 m aufgestaut und damit unter anderem auch Heiterwang unter Wasser gesetzt worden. So wäre vermutlich Österreichs größter Stausee entstanden. Aus heutiger Sicht muten diese Pläne etwas eigenartig an. Im internationalen Vergleich wäre dieser See aber immer noch ein Zwerg. Der Volta‑Stausee in Ghana, der größte vollständig durch Menschen gebaute Stausee, hätte mehr als zwei Drittel Tirols überflutet. Aber ich schweife ab.

 

Heiterwanger See

Nach ca. 2 km auf der Forststraße kam ich an das Westufer des Heiterwanger Sees und lief über eine Wiese zum Campingplatz und Hotelrestaurant Fischer am See. Zeit für eine Einkehr hatte ich aber nicht. Am Nordufer ging es wieder auf einem Singletrail zurück. Ich lief immer nahe am Wasser und ich dachte mir schon, wenn ich jetzt zwei Stunden lang einen wunderschönen ufernahen Weg laufe, dann ist das zwar beeindruckend, aber so wenig abwechslungsreich, dass es eigentlich kaum was zu berichten gibt.

 

Aber dann übersah ich auf einem der Schuttkegeln, die das bei Wolkenbrüchen vom Berg herabstürzende Wasser hinterlässt, einen Stein und stolperte. Da mir das ja schon mal passiert ist, wusste ich, dass ich jetzt unbedingt versuchen muss, ein Bein nach vorne zu bringen, um einen Sturz zu vermeiden. Ich erlebte zwei, drei Schritte wie in Zeitlupe mit 45° Vorlage, aber dann war ein Fritzelacke nicht mehr zu vermeiden. Meine erste Sorge war, ob mich nun eh niemand beobachtet hatte, aber es waren gerade keine Wanderer in der Nähe. Dann folgte eine Schadensaufnahme. Knie und Handflächen waren durch den scharfkantigen Schotter an mehreren Stellen aufgeschnitten, sonst gab es noch ein paar blaue Flecken.

 

Ich wusch mir mit dem Wasser, das ich eigentlich zum Trinken mitgenommen hatte, den Staub aus meinen Wunden, mehr Erste Hilfe Ausrüstung hatte ich nicht mit, die Blutspuren wischte ich mit der flachen Hand weg, dann schaute ich schon wieder einigermaßen manierlich aus. Musste ich jetzt meine geplante Runde aufgeben und auf den schnellsten Weg zurück zum Auto? Ich lief einmal ein paar Schritte zum Test. Das Knie tat beim Laufen auch nicht mehr weh als im Stehen, also entschied ich mich, weiter zu laufen.

 

Nach insgesamt einer Dreiviertel-stunde lief ich wieder über die Brücke über den Verbindungskanal der beiden Seen und hatte damit die Heiterwanger-See-Runde beendet. Da ich wusste, dass es um beide Seen ca. 20 km sein würde, hatte ich also noch ein ziemliches Stück vor mir. Am anderen Ufer ging es auf einer Forststraße weiter, die sich immer mehr vom Plansee wegdrehte. Ich befürchtete schon, dass ich in meiner Not irgendwo eine Abzweigung verpasst hatte, in Erinnerung war mir nur, dass ich immer nur am Ufer entlang musste, deshalb hatte ich auch keine Navigationshilfen mit. Bald drehte sich der Weg aber zurück zum See und ging wieder in einen schmalen Fußpfad mit etlichen Aufs und Abs über.

 

Hier gab es nun eine ganz eigenartige Stimmung. Typische Augewächse wie Weiden wechselten sich mit alpinem Almrausch ab. Dazwischen war das Geplätscher der Wellen zu hören wie bei einem Strandspaziergang am Meer. Es waren zwar weniger Leute unterwegs als vorhin, es gab aber immer noch genug Verkehr. Obwohl völlig ungeeignet, waren auch etliche Radfahrer unterwegs, auch Familien mit kleinen Kindern, die immer wieder schieben mussten. Auch ließen sich sehr gut Charakterstudien machen. Manche Wanderer ließen mich gerne vorbei, wofür ich mich höflich bedankte, andere (zumeist mit Nordic-Walking-Stöcken bewaffnet) mussten erst gebeten werden. Manche Radfahrer blieben stehen um mich passieren oder auch überholen zu lassen, andere fuhren, obwohl auf der Strecke eigentlich Fahrverbot wäre, einfach weiter, ohne sich für das Ausweichen zu bedanken.

 

Ich versuchte, möglichst vorsichtig zu laufen. Wenn ich wieder stolpern würde, wäre ich an einigen Stellen wahrscheinlich in den See geplumpst. Obwohl, die Wasserqualität des Plansees wäre hervorragend gewesen. Schon im Fischereibuch Maximilian I. aus dem Jahr 1504, einem der ältesten Bücher über die Fischwirtschaft, wird der Plansee als eines von ihm bevorzugte Fischgewässers beschrieben. Aber auch heute wird der See sehr von Fischern geschätzt. Nach ihm ist sogar das sogenannte Planseesystem benannt, ein Naturköderfischsystem, das vor allem zum Saiblingfischen in tiefen Gewässern geeignet ist. Aber ich schweife ab.

 

Nach jeder Biegung erwartete ich nun das Ende des Sees und wunderte mich, dass es nicht und nicht ins Blickfeld kam. Endlich sah ich die Forststraße die an der hinteren Seite des Sees vorbeiführt. Auf der schon öfters erwähnten Radtour durch Österreich vor mehr als einem Vierteljahrhundert kamen wir aus Richtung Garmisch-Partenkirchen hier runter und ich war damals sehr überrascht, an diesem Bergsee einen Campingplatz zu finden, an dem es ähnlich zuging wie in Bibione.

 

Für eine kleine Gelpause setzte ich mich auf einen Zaun, dann ging es auf der Straße weiter. Ich musste sehr konzentriert laufen, um schnell ausweichen zu können, falls ich von einem Autofahrer übersehen worden wäre. Auch hier konnte ich wieder Charakterstudien machen. Die meisten fuhren sehr vorsichtig, manche fuhren einfach ungebremst knapp am Rand weiter, wenn gerade kein Platz war auszuweichen, oder versuchten auf einem kurzen Stück zwischen zwei Kurven die Maximaldrehzahl ihres Motorrads zu erreichen.

 

Aber auch das ging vorbei und nach knapp zwei Stunden reiner Laufzeit war ich wieder beim Auto. Zuerst trank ich einmal ausgiebig, dann schaute ich nochmals auf die Karte und entschied mich, da das Ende des Kleinen Plansees nur 1,5 km weiter lag, den auch noch zu umrunden. Also lief ich auf der Straße weiter bis zur kleinen Staumauer, die den Abfluss in den Archbach regulierte. Als ich mich näherte wurde mir bewusst, dass der Strich auf der Karte eben die Staumauer und keine Brücke war. Diesmal war nicht einmal ein illegales Überqueren möglich. Also beschloss ich es jetzt gut sein zu lassen und lief wieder auf der Straße, diesmal mit den Autos im Rücken, zurück. Diese unattraktiven 3 km hätte ich mir sparen können, die waren quasi ein Schuss ins Knie, auch wenn dieses Wortspiel jetzt gerade nicht sehr glücklich gewählt war.

 

Kleiner Plansee

Später fand ich auf der Karte, dass es erstens für die Planseestraße eine Alternative am Hang, den sogenannten Höhenweg, gegeben hätte und dass ich zweitens an der Sperre nur noch ein paar Meter weiter laufen hätte müssen, um zu sehen, dass die Straße dann das Ufer wechselt und ich ganz bequem zum Wanderweg auf der anderen Seite des Kleinen Plansees gekommen wäre. Tja, schlecht vorbereitet eben.

 

Nachdem ich mich ausgeschwitzt und trockene Kleidung an hatte fuhr ich zurück nach Tannheim. Ich bekam plötzlich unbändigen Gusto auf Pizza. Im Autoradio spielten sie gerade Sportfreunde Stiller: Applaus, Applaus, ... hör niemals damit auf!