Hammermann vor dem Rennen

Vienna City Marathon 7. Mai 2006

 

Eigentlich sollte ich das gar nicht schreiben, weil es viel zu peinlich ist. Um es einigermaßen verständlich zu machen, muss ich bei meinem vorletzten 30 km Longjog drei Wochen vor dem Marathon anfangen. Nach 10 km Endbeschleunigung spürte ich ein wenig meine Bronchien. Da es mir sonst gut ging, zog ich die letzte Belastungswoche normal durch, dann kam schon das Tapering.

 

VCM 2006

Bei der Startnummern­abholung am Freitag vor dem Marathon traf ich einige Freunde aus dem Laufforum www.run42195.at. Die Spannung vor dem Rennen stieg schön langsam und ich war gut aufgelegt. Am Samstagvormittag war ich beim Mozart-Marathon, einem Konzert der Wiener Philharmoniker in Kooperation mit dem VCM, ich hatte zwei Karten bei einem Quiz gewonnen. Ein Kollege, der bei meiner Rennbetreuung eine wichtige Rolle zu spielen hatte, begleitete mich. Dann schlenderte ich durch die Stadt, schaute mir den Aufbau des Zielgeländes an und wartete auf die Kaiserschmarrnparty, die um 3 Uhr im Rathaus begann. Nachdem ich schon den ganzen Tag auf den Beinen war und mich für den nächsten Tag schonen wollte, ging ich dann gleich nach Hause.

 

Irgendwie fühlte ich mich aber nun nicht mehr sehr wohl. Ich spürte noch meine Bronchien und wurde immer unruhiger. Mir fiel das vorige Jahr ein. Da hatte ich vor dem Marathon auch ein bisschen Husten. Zur Sicherheit ging ich damals ins Medical Center des VCM und lies mich von Dr. Rabensteiner untersuchen. Sie fand nichts. Zur endgültigen Abklärung machte sie noch einen Bluttest – die besten Werte meines Lebens. Diese Blamage wollte ich mir heuer ersparen. Voriges Jahr war ich nach der Untersuchung wenigstens beruhigt, heuer wurde ich dafür immer nervöser.

 

Ich versuchte mich mit meinen Marathonvorbereitungen abzulenken. Aber die Bronchien spürte ich immer noch. Meine Frau hatte für den Abend (zum Glück für sie) eine Einladung, so konnte ich sie auch nicht ansingen. Ich ging früh ins Bett, an Schlaf war aber natürlich nicht mehr zu denken. Brennen in der Brust, das ist doch ein eindeutiges Zeichen für Herzinfarkt? Warum habe ich nie ein Belastungs-EKG machen lassen? Ich kann unmöglich den VCM rennen. Ich sah vor meinem geistigen Auge Sanitäter, die am Streckenrand verzweifelt versuchten mich zu reanimieren.

 

Aber wenn ich nicht laufen würde, nur aus Angst nicht laufen würde, würden mich alle fragen, ob ich blöd sei. Ich begann mit mir um den VCM zu kämpfen. Der Hammermann vor dem Rennen! Inzwischen war ich ein Häufchen Elend, die Knie waren weich geworden, der Puls raste. Vielleicht könnte ich ja morgen ein bisschen laufen, aber Kraft für den Kampf auf der zweiten Streckenhälfte hätte ich so sicher nicht! Irgendwann schlief ich dann doch ein. Eine Minute vor dem Weckerläuten wachte ich auf. Nachdem ich auch mit größter Anstrengung mit dem Fieberthermometer nur 36,5°C messen konnte, beschloss ich doch den VCM zu laufen.

 

Ich brachte meinen Sohn zum Start des Junior-Marathons. Dann schnell zurück zu meinem Startbereich und in die Warteschlange vor den Dixiklo. Dann wollte ich mir die Wasserflasche holen, die als Startverpflegung angekündigt war. Ich lief die halbe Wagramer Straße ab, aber es war nichts zu finden, das einzige Manko der Organisation, das ich feststellen konnte. Nachdem das Wasser aber fix in meine Startvorbereitung eingeplant war und ich voriges Jahr nach 5 km schon großen Durst hatte (Vorsicht, die nächste Peinlichkeit) nahm ich einfach eine halbvolle Flasche, die irgendwo am Boden herumstand mit in meinen Startblock.

 

Ich war in B1 eingeteilt, also dem ersten Block auf der linken Seite. Ich weiß auch nicht warum, meine bisherige personal best von 4:17, die ich vorweisen konnte, war ja auch nicht so toll. Obwohl ich relativ knapp kam war noch sehr viel Platz im Block und ich konnte mich ziemlich weit vorne aufstellen. Dann die Starthupe und los ging es. Ganz anders als voriges Jahr konnte ich gleich von Beginn an ungehindert laufen, wahrscheinlich war ich so einer, der den Schnelleren das Weiterkommen erschwerte, aber dafür konnte ich nichts. Meine Bronchien waren vergessen, das Wetter optimal und ich freute mich auf ein tolles Rennen.

 

Ich lief locker weg und kontrollierte das Tempo auf den ersten Kilometern. Ich war immer nur wenig über 5:30 pro km und da wusste ich, dass sich sub 4, mein Ziel, diesmal ausgehen könnte. Bei km 10 stand mein Kollege mit eine Flasche Powerade, bei km 20 meine Frau mit einer Flasche Powerade, bei km 25 und 35 wieder mein Kollege mit jeweils einem Gel und einer Flasche Wasser. Die Übergabepunkte waren immer so gewählt, dass ich, falls irgendwas schief gehen würde, immer noch bei den offiziellen Verpflegungsstellen etwas nehmen konnte. Es funktionierte aber alles ausgezeichnet und ich brauchte die Stände nur dazwischen für ein bisschen Wasser ansteuern. Das war super komfortabel. Zusätzlich gab es noch ein paar Winkpunkte mit der Familie, die Anfeuerungen wie „Super Zwischenzeiten, du liegst voll im Plan!“ oder „Gut schaust noch aus, so bist vor 1 Uhr am Heldenplatz!“ motivierten mich zusätzlich.

 

Das Publikum empfand ich super, vor allem anfangs war fast immer Lärm. Das lag sicher auch daran, dass meistens eine als Pizza-Bäcker verkleidete Gruppe um mich herum war, die automatisch Stimmung machte. Sprüche wie „Gemma Burschen, die Kenianer packt’s no!“ oder „Ein paar hundert Meter no, ihr wisst es eh!“ fand ich lustig. Über die abklatschenden Kinder freute ich mich auch. Später wurde es ein bisschen ruhiger, was ich aber auch verstehen kann, ich würde mich auch nicht zu einem Angler stellen und in vier Stunden anfeuern: „Super, weiter so, das wird sicher ein urgroßer Fisch!“

 

VCM 2006

Zum Halbmarathon freute ich mich auf das Kamerateam, das Manfred aus dem Laufforum organisiert hatte. Leider hatte ich durch Internetprobleme nicht mehr mitbekommen, dass der Treffpunkt in die Mariahilfer Straße verlegt wurde. Ich sah Manfred gerade noch im letzten Moment aus dem Augenwinkel, er mich wahrscheinlich gar nicht. An den Gegenverkehrsstellen der Laufstrecke hielt ich auch immer nach bekannten Gesichtern Ausschau, fand aber leider niemanden.

 

Die Halbmarathon-Zeit mit 1:58 war zwar relativ knapp unter Planzeit und auch nur 3 min schneller als voriges Jahr, aber trotzdem war ich voll Zuversicht, dass sich sub 4 ausgehen würde. Als ich bei km 30 mit 2:48 auch genau meine 15er-Zeit verdoppelt hatte, sprach ich mir selber ein „Super!“ zu. Jetzt wartete ich auf den Einbruch, so wie voriges Jahr. Aber jeder Kilometer mehr, den er nicht kam, motivierte mich weiter. Es wurde zwar ein bisschen zäher, aber ich konnte immer noch Kräfte zulegen. Und locker durchjoggen hatte ich ja nicht erwartet. Den 3. Bezirk nahm ich heuer noch bewusst war. Als es mir am Ring immer noch gut ging wusste ich, dass nichts mehr passieren würde. Ich steigerte so gut es ging mein Tempo und lief mit einem breiten Grinsen und überglücklich am Heldenplatz ein. 3:56:09 – geschafft! In meinem Userprofil im Laufforum stand: „Einmal sub 4 laufen!“ Jetzt musste ich mir ein neues Ziel suchen.

 

Nachdem ich bei vielen Forumstreffpunkten am Wochenende nicht dabei sein konnte, wollte ich unbedingt am Abend zur After-Race-Party. Da ich nicht einer der aktivste Forumsjünger war, Laufen ist hauptsächlich die Zeit, die ich für mich allein brauche, freute ich mich sehr, mit welcher Freundlichkeit ich aufgenommen wurde. Mit Leuten, die ich noch nie vorher gesehen hatte, plauderte ich, als wären wir schon immer die besten Freunde.

 

Und zum Schluss:

Ich habe mein erstes Titelblatt! In den Salzburger Nachrichten vom nächsten Tag war ich auf der ersten Seite abgebildet. Ok, man musste schon genau schauen, um mich auf dem Foto vom VCM-Start in der Menge zu sehen, aber ich war eindeutig zu erkennen.

VCM 2006
Foto: Salzburger Nachrichten 8. Mai 2006