Piestinger Brauerei

Juli 2023

 

Meine Tochter erzählte mir unlängst, dass eine Arbeitskollegin aus einer Brauereifamilie stammt. Ich wollte natürlich gleich wissen, aus welcher. Dazu musste sie nachfragen. Bei der nächsten Gelegenheit erfuhr ich, dass sie mit dem ehemaligen Besitzer der Piestinger Brauerei verwandt sei. Ich konsultierte sofort Wikipedia und wollte nun wissen, ob sie aus der dort genannten Familie Müller oder Lehn stammt. Sie musste wieder nachfragen. Nun erfuhr ich, dass sie eine Nachfahrin von Tiberius Lehn ist (mehr dazu weiter unten). Offensichtlich war das mehrmalige Nachfragen über Umwege schon ein bisschen mühsam, denn die Kollegin erkundigte sich nun, ob ich gleich Interesse an dem, im Literaturverzeichnis des Wikipediaartikels erwähnten, im Eigenverlag erschienenen Buch über die Geschichte der Familienbrauerei hätte. Nona!

Die Piestinger Brauerei war mir schon in meiner Kindheit im südlichen Niederösterreich ein Begriff. Damals, ich kannte Bier nur vom Hörensagen, haben die coolen Leute, immer wenn sie ein „Festl“ feierten, ein Holzfass aus der Piestinger Brauerei geholt. Also höchste Zeit sie endlich auch einmal zu erkunden.

1798 wurde Heinrich Freiherr von Müller Grundherr von Hernstein und damit auch von Piesting. 1815 erwirbt ein Johann Nepomuk Müller, vermutlich entstammt er dieser Adelsfamilie, die von Johann Kupelwieser gegründete Piestinger Blechgeschirrfabrik. Johann Kupelwieser war der Vater des berühmten Malers Leopold Kupelwieser und Ururgroßvater von Maria Anna „Pussy“ Kupelwieser, die 1926 auf Brioni Manfred I. Mautner Markhof heiratet, womit wir auch einen Bezug zur Brauerei Schwechat haben. Johann Nepomuk Müller hatte mit seiner Geschirrfabrik nur beschränkt Erfolg, weshalb er sich auch um eine „Personal-Brauhausgerechtigkeit“ bemühte, die er 1824 erhielt. Die Entscheidung für das Brauereigewerbe als zweites Standbein dürfte darin begründet gewesen sein, dass hier am Eingang ins Piestingtal Weinbau aus klimatischen Gründen nicht mehr möglich war. Und irgendwas mussten die Piestinger ja schließlich auch trinken.

Die Brauerei wurde am Areal der Blechgeschirrfabrik (heute Gutensteiner Straße 52) errichtet und ging 1827 in Betrieb. Erste Pächter waren der Wirt Josef Stiegler und der Fleischhauer Joseph Borner, beide aus Lanzenkirchen, die das Brauhaus mit Bierausschank auf eigene Kosten fertigstellten.

Die Brauerei dürfte Müller aber auch nicht zu Reichtum verholfen haben, im Gegenteil. Johann Nepomuk Müller fuhr regelmäßig mit seinem Fuhrwerk nach Stadlau, um Malz zu besorgen. Dabei soll er in allen Einkehrgasthäusern angehalten und dort beim Würfeln und Kartenspielen sein Geld verloren haben. Bereits 1829 musste er Konkurs anmelden. Aus der Konkursmasse kaufte Anton Jast aus Wiener Neustadt die Brauerei. 1834 ging sie auf den ehemaligen Pächter des Wiener Neustädter Brauhofes Ignaz Betzlar über, der das Brauhaus aufstockte. Aber auch er blieb nur wenige Jahre ihr Besitzer.

Und damit kommen wir zur Geschichte der Familie Lehn. Am 3. April 1841 erwarb der eingangs erwähnte Tiberius Lehn das Brauhaus. Tiberius Lehn wurde 1785 in Bad Saulgau in Baden-Württemberg als Sohn eines dortigen Bierbrauers geboren und war schon als Braumeister in Schwechat, als Wirt in Himberg und als Bierhändler („Bierversilberer“) tätig.

Tiberius übergab die Brauerei und den Bierausschank umgehend seinem Sohn Josef Lehn, der ebenfalls Braumeister war. Er war der erste in einer langen Reihe von Josefs, wir wollen ihn daher Josef I. nennen. Josef I. vergrößerte zunächst das Brauhaus um das nebenstehende Wirtshaus.

1877 übernahm sein Sohn Josef II. Lehn die Brauerei, sein Bruder Ludwig Lehn war stiller Teilhaber. Er baute die Brauerei ab 1894 schrittweise aus. Es wurde östlich an das Brauhaus anschließend der „Kellerberg“ abgegraben und eine Mälzerei, ein Sudhaus, ein Heizhaus mit Schlot, eine Binderei, eine Abfüllanlage sowie Eis- und Lagerkeller errichtet. Der ganze Neubau wurde 1904 abgeschlossen. Aus der alten Brauerei wurden zunächst Wohnräume der Familie, im Obergeschoß befand sich das Gasthaus.

Piestinger Brauerei 1914. Quelle: AKON/ÖNB
Piestinger Brauerei 1914. Quelle: AKON/ÖNB


1903 wurde für den Verkauf des Bieres Flaschenpfand eingeführt, weil die Flaschen oft nicht mehr in die Brauerei zurückfinden wollten. Schon damals ein sehr löblicher Ansatz zur Müllvermeidung.

Josef II. hatte acht Kinder, drei Söhne und fünf Töchter. Der erstgeborene Sohn, Josef Maximilian, sollte wohl die Brauerei übernehmen, verstarb aber mit sieben Jahren. So übernahmen 1909 seine zwei Brüder, Karl I. Lehn und der seinem verstorbenen Bruder nachgetaufte Josef III. Ludwig Lehn die Brauerei, zunächst in Pacht, 1916 durch Kauf. Josef II. erwarb als Alterswohnsitz das jenseits der Piesting gelegene ehemalige Wohnhaus der Familie Kupelwieser, deren Blechgeschirrfabrik die Keimzelle der Brauerei war. Karl I. starb schon 1919, womit Josef III. Alleineigentümer wurde. Er war der Urgroßvater der eingangs erwähnten Kollegin meiner Tochter.

Brauhaus 1930. Quelle: AKON/ÖNB
Brauhaus 1930. Quelle: AKON/ÖNB

 

Am 1. April 1945 wurde der Betrieb angesichts der nahenden Front im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Armee beschlagnahmt und die Familie musste fliehen. Nach Rückkehr fand sie einen ausgeplünderten Betrieb vor, trotzdem konnte schon im Juni 1945 wieder mit der Produktion begonnen werden. Um 1950 übernahm der Sohn von Josef III., Josef IV. Lehn die Brauerei. 1955 wurde die 1929 stillgelegte Mälzerei wieder in Betrieb genommen.

 

1981 wurde die Brauerei an die beiden Söhnen Josef IV., Josef V. Lehn und Karl II. Lehn übergeben. 1985 gab es in der Piestinger Brauerei einen kleinen „Bierskandal“, eine mit Monobromessigsäure, ein für die Bottichreinigung verwendetes Mittel, verunreinigte Bierprobe wurde gefunden. Es lag jedoch der Verdacht nahe, dass im Zuge des Weinskandals der Marktführer versuchte, einen lästigen Konkurrenten loszuwerden.

 

1991 wurde noch groß das 150-jährige Brauereijubiläum gefeiert, trotzdem war den beiden Besitzern die Weiterführung des Betriebs wirtschaftlich bald nicht mehr möglich. 1994 wurde die Brauerei an die Fa. Kosme des Unternehmers Walter Töfferl verkauft. Damit endet die Geschichte der Familie Lehn in der Brauerei Piesting.

 

Töfferl renovierte bis 2000 die historischen Gebäude. Er steigerte den Bierausstoß langsam auf bis zu 20.000 hl pro Jahr. Unter den Diplombraumeister Hinrich Hommel und Andreas Brand wurde die Qualität des Bieres weiter verbessert und es konnten einige Preise errungen werden. 2003 wurde in der Brauerei Piesting die Ausbildung zum Bier-Sommelier an Berufsschulen erfunden.

 

Teil der ehemaligen Brauerei 10. Juni 2012. Foto: Wolfgang Glock. Quelle: Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0
Teil der ehemaligen Brauerei 10. Juni 2012. Foto: Wolfgang Glock. Quelle: Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

Trotzdem ließ sich das (vorläufige) Ende der Brauerei nicht mehr verhindern. Im September 2005 schließlich kauften die Vereinigten Kärntner Brauereien die Gebäude und Markenrechte. Die Brauerei wurde sofort geschlossen, die Brauerei-anlagen verkauft und das Areal als Getränkevertriebsstandort genutzt. Ein Bier mit dem Namen „Piestinger“ wurde noch eine Zeitlang in der Villacher Brauerei gebraut, irgendwann um 2013 verliert sich aber die Spur. Ebenfalls 2013 wurde ein Teil der Brauereigebäude abgerissen. Bilder davon, aber auch weitere Ansichten der Brauerei, finden sich in der Topothek Markt Piesting. Lediglich die denkmalgeschützten Bauten in der Gutensteiner Straße 42 blieben erhalten.

 

2019 erwarb der Piestinger Markus Rohr, die verbliebenen Brauereigebäude. Gemeinsam mit Philipp Ringhofer und dem aus Bayern stammenden Philipp Haidl soll der Brauereistandort Piesting wiederbelebt werden. Unter dem Markennamen Piestingtaler Brauerei werden von ihnen, vorerst als Gypsy Brewer in der Brauerei Gols, „Wildbiere“ hergestellt. 2021 wurde mit der Restaurierung der Gebäude begonnen. Eine neue Brauanlage befindet sich noch im offensichtlich sehr aufwendigen Genehmigungsprozess und wird noch einige Zeit auf sich warten lassen. Jedes zweite Wochenende findet aber in der Brauerei ein Hofverkauf statt, was der Anlass für unsere Spurensuche sein soll.

 

Die Anreise aus Wien mit dem Zug (wir wollen ja Bier trinken) ist in etwas mehr als einer Stunde unkompliziert möglich. Wir steigen nicht in Piesting aus, sondern fahren eine Station weiter bis Dreistetten Bahnhof. Gleich vom Bahnsteig sieht man das (ganz) alte Brauhaus, das auch noch den entsprechenden Schriftzug trägt. Welch ein erfreulicher Anblick!

 

Links neben dem Brauwirtshaus kann man gut den ehemaligen, über dem Bierkeller gelegenen, schattigen Gastgarten erkennen. Ganz links, über der jetzigen Garage, befand sich einst ein Brauhaussaal, der schönste Saal Piestings, in dem auch Bälle, Konzerte und Theateraufführungen stattfanden.

 

Im ersten Haus jenseits der anschließenden Grenzgasse wohnte früher der Brauführer, also der Wächter über den Brauprozess. Weiter hinten in der Grenzgasse gab es noch weitere Häuser für die Brauereiarbeiter. Ob davon heute noch Bausubstanz erhalten ist, kann ich aber nicht sagen.

Wir gehen zunächst über die kleine Brücke über die Piesting ins Minnatal. Das hier nun ein Malereibetreib mit dem wohlschmeckenden Namen „Zwickl“ angesiedelt ist, ist wohl nur Zufall. Wir gehen um das Gewerbegebiet herum und kommen zur Hausnummer 3, dem Geburtshaus Kupelwiesers und späterem Wohnhaus Josef II. Lehn. Ein Wegweiser führt zu einem „Pilzgarten“, auch die Namensähnlichkeit zum Bier- oder Pilsgarten dürfte zufällig sein. Auf dem schönen alten Haus ist auch eine vom Brauereibesitzer Josef Lehn gewidmete Erinnerungstafel an Leopold Kupelwieser angebracht.

Wir kehren wieder um. Kurz vor der Brücke können wir nun schon das Ziel unseres Besichtigungsgangs, die noch erhaltenen Brauereigebäude, erkennen. Nach der Brücke gehen wir nach rechts die Gutensteiner Straße entlang Richtung Piesting. Am linken Straßenrand sind noch Mauerreste der 2013 abgerissenen Bauten zu sehen. Rechts der Straße, hinter der Bahnlinie, erkennt man eine ebene Fläche, die mit dem Material des um 1900 abgetragenen Kellerbergs angeschüttet wurde. Dann kommen wir am Untergeschoß der letzten Brauereigebäude vorbei.

Wir biegen links in die Auffahrt zur Brauerei ein. Rechts beginnt die Brauhausgasse, die danach in den Brauhaussteg übergeht und schließlich in die Kupelwieserstraße mündet, also drei Erinnerungen an die alte Brauerei hintereinander. Links finden wir schon die Einladung zum Hofverkauf, der auch die Möglichkeit bietet, das Areal und zumindest die Lagerhalle genauer betrachten zu können.

Piestinger Petz Bräu ca. 1990
Piestinger Petz Bräu ca. 1990

Laut Geschichte der Familienbrauerei befand sich ostseitig der Brauerei das Wohnhaus des Braumeisters Petz, nachdem auch das, mir noch bekannte, „Petz Bräu“, ein dunkles Lagerbier, benannt wurde. Dass sich im Garten des Hauses, das ich an dieser Stelle vermute, heute eine Hütte mit aufgemalten Bärlis befindet, ist sicher auch wieder nur Zufall.


Die dzt. vorhanden, sehr wohlschmeckenden Wildbiere „Keiler“ (ein Märzen), „Wolf“ (Lager) und „Eule“ (Festbier) können nun auf bereitgestellten Bänken verkostet werden. Jetzt kann ich es nicht lassen, auch auf die richte niederösterreichische Aussprache der „Eule“ hinzuweisen und ersuche dazu diesem Link zu folgen.

Eine Spur der Familie Lehn gäbe es in Piesting noch zu entdecken. In der am anderen Ortsrand gelegenen, 1859 erbauten Pfarrkirche stammen nicht nur die Altarbilder aus der Werkstätte Leopold Kupelwiesers, sondern es wurden auch Glasfenster von lokalen Persönlichkeiten gestiftet. So wurde z.B. das Fenster links des Hochaltars, das verständlicherweise den Heiligen Josef darstellt, 1905 von Josef Lehn, vermutlich II., gewidmet. Da die Zeiten des Hofverkaufs aber wahrscheinlich nicht mit den Öffnungszeiten der Kirche zusammenpassen, bedarf es zur Besichtigung des Kirchenfensters wohl eines eigenen Termins.

Nach Konsumierung der Kostproben begeben wir uns zum Ausklang der Spurensuche in den nahe gelegenen Piestingerhof. Dazu kann man entweder die vorhin erwähnte Brauhausgasse begehen, oder der Einfachheit halber gleich der Gutensteiner Straße folgen. Im Lokal bietet sich die Gelegenheit, bei einem weiteren Piestingtaler Bier auch noch ein paar historische Aufnahmen der Brauerei zu besichtigen.

Quellen

https://de.wikipedia.org/wiki/Piestinger_Brauerei

https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Hernstein

https://de.wikipedia.org/wiki/Markt_Piesting

https://www.gedaechtnisdeslandes.at/orte/action/show/controller/Ort/ort/markt-piesting.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_Kupelwieser

https://www.dynastiemautnermarkhof.com/de/familienchronik/brioni/familie-kupelwieser/

https://books.google.at/books?id=2zNGA0KPB3gC&pg=PA192

https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Frohsdorf

https://www.geschichtewiki.wien.gv.at/Bierversilberer

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=gbh&datum=19030801&query=%22piesting+brauerei%22~10&ref=anno-search&seite=4

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=wnz&datum=19410222&query=%22piesting+brauerei%22~10&ref=anno-search&seite=7

https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_denkmalgesch%C3%BCtzten_Objekte_in_Markt_Piesting#Q37932672

https://hagru.at/de/fun/brauerei/B_View.html#b_45

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20000321_OTS0113/brauerei-piesting-erhaelt-braukeller

https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20030224_OTS0074/landesberufsschule-waldegg-und-privatbrauerei-piesting

https://www.zeitfuergenuss.at/trinken/2013/09/1_2_3_4_wir_hebenab.html

https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=blf&datum=20020213&query=%22piesting+brauerei%22~10&ref=anno-search&seite=59

https://de.wikipedia.org/wiki/Vereinigte_K%C3%A4rntner_Brauereien

https://de-academic.com/dic.nsf/dewiki/1109352

https://konsument.at/lebensmittel-check/piestinger-lager

https://www.piestingtaler.at/

https://www.piesting.at/wordpress/wp-content/uploads/2017/08/Sehensw%C3%BCrdigkeiten_Druckfertig_A5.pdf#page=18